Rückblick - Sommersession 2022

Neben vielen weiteren Themen prägten aus meiner Sicht vier Schwerpunkte die Sommersession 2022: Aufstockung des Armeebudgets inklusive Fliegerbeschaffung, Massnahmen zur Erhaltung der Kaufkraft infolge der Zunahme der Inflation, Lehren aus Corona bei der Impfstoffbeschaffung und beim Schutzschirm für die Stromkonzerne sowie Frauenthemen bei der Revision des Sexualstrafrechts und der Reform des BVG’s.

 

Inflation und Kaufkraft

 

Am 31. Mai traf sich die Parlamentarische Gruppe Arbeit, die ich präsidiere, zum Thema «Ist die Rückkehr der Inflation eine Gefahr oder eine Chance für die Arbeitnehmenden? Und was soll die Politik tunGastrednerwar Thomas Jordan, Präsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank. Scherzhaft sagte ich in meiner Einleitung, sicher werde uns Thomas Jordan nicht verkünden, wann die SNB den Leitzins anheben werde, ob im Herbst oder erst im nächsten Frühjahr – und am letzten Donnerstag der Session veröffentlichte die SNB ihren Entscheid, den Leitzins schon jetzt, vor der Europäischen Zentralbank und um ganze 0,5% anzuheben. Der Schritt wurde weitherum als überraschend, aber auch als mutig und beherzt bezeichnet, Gewerkschaftskreise warnten aber auch vor den dämpfenden Wirkungen, welche der Entscheid auf die Entwicklung der Wirtschaft und damit auf die Beschäftigung haben könnte.

Das Thema Inflation und Erhalt der Kaufkraft waren Thema in der dritten Sessionswoche aufgrund von mehreren Vorstössen der SVP in beiden Räten, welche einseitig darauf abzielten, Benzin- und Ölpreise zu verbilligen (22.3228, 22.3243, 22.3244, 22.3356). Sie wurden in beiden Räten klar abgelehnt, ich sprach mich in meinem Votum dafür aus, eher über generelle Zuschüsse in Form von Pauschalen pro Haushalt nachzudenken, falls die Inflation noch weiter steigen sollte (Link zu Votum).

Inzwischen hat die SP, teilweise unterstützt von der Mitte, mehrere Vorstösse eingereicht, wie die Kaufkraft der Bevölkerung gezielt bei Rentnerinnen und Rentnern und Menschen mit tieferen Einkommen gestützt werden soll. (Link zur Medienmitteilung) Diese werden in der Herbstsession behandelt.

 

Armeebudget

 

Traktandiert war in der ersten Sessionswoche das Armeebudget und die Fliegerbeschaffung (22.005). Dass die Betriebsmittel für die neuen Flieger bewilligt werden sollten, bevor die Berichte der Finanzkontrolle, welche die Beschaffung untersuchen, veröffentlicht sind, ist unverständlich, aber wir blieben chancenlos mit unserem Rückweisungsantrag. Unverständlich ist für mich auch, wie der Angriffskrieg in der Ukraine von rechter Seite nun zum willkommenen Anlass genommen wird, das Armeebudget aufzustocken. Die Forderung der SVP, umgehend 2 Milliarden mehr einzustellen, wurde von der Kommission für Sicherheit umgewandelt in eine gestaffelte Aufstockung um jeweils jährlich rund 300 Millionen Franken, bis das Budget der Armee im Jahr 2030 1% des BIP ausmacht (22.3374). Alle Appelle an die Vernunft blieben erfolglos, 2023 sollen 300 Millionen mehr eingestellt werden, ohne zukunftsweisendes Konzept, ohne eine Einbettung der Verteidigungsstrategie der Schweiz innerhalb Europas, ohne die Aussenpolitik der Schweiz an die geänderten Umstände anzupassen – welche als Begründung für den Ausbau der Armee herangezogen wurden. (Link zum Votum).

 

Lehren aus der Covid-Krise

 

Seit Monaten ist das Thema Lehren aus der Covid-Krise in aller Munde, auch die Geschäftsprüfungskommissionen haben dazu einen Bericht veröffentlicht. Wenn es aber dann darum geht, Lehren zu ziehen und daraus Handlungen abzuleiten, dann ist alles vergessen. Dies zeigte sich beim Nachtrag zum Voranschlag 2022, der unter anderem mehr Mittel zur Beschaffung von Impfstoffen für 2022 und in einem Verpflichtungskredit für 2023 verlangte (22.007). Der Bundesrat möchte nicht noch einmal in dieselbe Situation geraten wie zu Beginn der Krise, als zuwenig Impfstoffe zur Verfügung standen und er dafür stark kritisiert wurde. Er verfolgt eine Beschaffungsstrategie, die auf Sicherheit ausgerichtet ist, auf den worst case. Neue Mutationen in Südafrika oder steigende Fallzahlen in Portugal schon in den letzten Wochen machen deutlich, dass eine Planung schwierig ist. Doch eine Mehrheit im Ständerat meinte es besser zu wissen, lieber mehr Risiko nehmen zu wollen – nach langem Hin und Her zwischen den Kommissionen wurde für 2023 ein tieferer Betrag beschlossen, wodurch die ausgehandelten Verträge mit den Firmen nichtig sind und neu verhandelt werden müssen. Geholfen hat dabei nicht, dass im Lauf der Verhandlungen formale Fehler bei der Formulierung der Verträge entdeckt wurden, welchen in einer Administrativuntersuchung nachgegangen wird. Aber mit der Impfstoffstrategie haben sie an sich nichts zu tun.

 

Gouverner c’est prévoir erwies sich auch beim Rettungsschirm für die systemkritischen Unternehmen der Elektrizitätswirtschaft lediglich als Bonmot – als es darum ging, rechtzeitig zu schauen, dass Stromunternehmen nicht in Liquiditätsnot kommen sollten (22.031). Der Bundesrat beantragte 10 Milliarden Franken als Garantien, unter strengen Bedingungen. Es entspann sich eine endlose Debatte, in der alle möglichen, teilweise sehr widersprüchlichen Argumente dagegen gesucht wurden. (Link zum Votum)

 

Revision des Sexualstrafrechtes, Reform des BVG und Vorstösse zum Thema Gleichstellung

 

Gewichtige Frauenthemen prägten diese Session ebenfalls, vor und nach dem Frauenstreiktag vom 14. Juni. GrosseFortschritte für Opfer von sexuellen Übergriffen bringt die Revision des Sexualstrafrechts (18.043). Eine längere Diskussion führten wir erwartungsgemäss über die Zustimmungs- bzw. Widerspruchslösung, also über «Nur Ja heisst Ja» bzw. «Nein heisst Nein». Bei beiden Varianten bleibt die Beweislage schwierig, da die Übergriffe in der Regel unter vier Augen stattfinden. Ich habe mich klar für «Nur Ja heisst Ja» ausgesprochen, da ich bei dieser Variante auch einen stärker präventiven Charakter sehe,  nicht der Widerstand des Opfers, den der Täter zu brechen versucht, steht im Zentrum, sondern Sexualverkehr in gegenseitigem Einverständnis als Norm. Das Geschäft geht nun an den Nationalrat. (Link zum Votum)

Kein Ruhmesblatt war die Debatte über die Reform des BVG(20.089). Ein Geschäft, das gerade für viele Frauen mit kleinen Teilzeitpensen von grosser Bedeutung ist und Verbesserungen dringend notwendig sind. Nachdem von rechter Seite in letzter Minute nochmals neue Varianten aus dem Hut gezaubert wurden, war es richtig, das Geschäft an die Kommission zurückzuweisen. Die Hoffnung stirbt zuletzt, dass der Kompromiss, den die Sozialpartner gefunden hatten, vielleicht doch noch einmal angeschaut wird.

 

Sehr ärgerlich war aus Frauensicht schliesslich die äusserst knappe Ablehnung einer Motion, welche bei der EO-Entschädigung die Gleichstellung von Mutterschaft und Militärdienst verlangte, welche vom Nationalrat bereits angenommen war (19.3373). Wir werden das Thema wieder aufnehmen. Die Sachlage widerspricht der Verfassung, wie der Bundesrat selber argumentierte, dass die Umsetzung zu teuer sei, da – etwa überspitzt gesagt – die Frauen noch weitere kostspielige Forderungen hätten, kann kein Argument dagegen sein.

Erfreuliches zum Schluss: meine Motion zur Schaffung von Datengrundlagen zu Unterhaltsentscheiden im Familienrecht (21.4191) wurde auch vom Nationalrat überwiesen und muss nun umgesetzt werden, dies zusätzlich zu meiner Motion, welche eine Verbesserung der Datenlage bezüglich Auswirkungen auf die Geschlechter fordert (20.3588), die schon im März letzten Jahres auch vom NR überwiesen wurde. Hier gilt es, bald einmal nachzuhaken, wie es mit der Umsetzung aussieht.

 

Gerne würde ich allen einfach einen unbeschwerten Sommer wünschen, nach den zwei Jahren Corona haben wir uns alle danach gesehnt. Nun bangen wir alle auf einen baldiges Ende des schrecklichen Kriegs gegen die Ukraine hin und ganz andere Themen stehen innenpolitisch im Vordergrund: ein Ansteigen der Inflation, eine mögliche Rezession, Energieknappheit infolge des Krieges und Sparprogramme aufgrund steigender Kosten bei sinkenden Steuereinnahmen. Wir haben es in der Hand, wie wir diese Probleme angehen wollen: als eines der reichsten Länder der Welt mit den tiefsten Schulden, müssen wir uns jetzt nicht um den Abbau der Coronaschulden kümmern, sondern in die Energiewende investieren, um unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen schneller als geplant zu reduzieren. Wir sollten unsere Sozialwerke so reformieren, dass die tiefen und mittleren Einkommen gestärkt daraus hervorgehen. Darüber hinaus sollten wir vorsorglich Massnahmen planen für den Fall einer stark zunehmenden Inflation. Unerlässlich ist zudem eine Neupositionierung der Aussenpolitik, nicht indem wir uns abschotten, wie die SVP es mit ihrer neuesten Initiative zur Neutralität plant, sondern als moderner Staat, eingebettet in Europa, in dessen Mitte die Schweiz liegt und dessen Werte sie teilt.